Christliche Identität in der Krise
Die auffällig hohe Präsenz von Religion und Kirche (insbesondere römisch-katholisch) und ihrer Vertreter*innen, also glaubender Männer und Frauen, Kleriker, Nonnen, Pastoren, Pfarrer, Ordens- leute, in aktuellen Kino- und Serienproduktionen im Arthouse-Bereich fordert die filmtheologische und medienreflexive Auslotung der Gründe, Kontexte und Spielarten heraus. Sind Glaubensfragen aktueller denn je, auch für eine säkulare Öffentlichkeit? Bilden die Kleider der Kirche(n) eine moralische Hülle für andere Grundfragen, die sich darin verhandeln lassen? Lassen sich Konzepte von Haltung, Geschlecht, Glauben, Enthemmung, Moral und Ver- zweiflung schärfer in einem als kirchlich apostrophierten Setting zeichnen? Ist der christliche Glaube als Konzept und Praxis derart in der Krise, dass er inzwischen im Film ganz neu gefüllt und gestaltet werden kann, oder tritt er neu hervor? In welcher Weise bildet Religiosität den Hintergrund oder Vordergrund im Film?
Christliche Identität entsteht in Krisen und Bewährungen, die in aktuellen Filmen in einem konfessionellen, zumeist katholischen Rahmen erzählt werden. Das religiöse Individuum in der Krise wird zum spirituellen Herzensthema verschiedener Regisseure (A HIDDEN LIFE Terrence Malick; FIRST REFORMED Paul Schrader). Erscheinungen der Gottesmutter Maria lassen sich als Möglichkeit der subjektiven Überwältigung wie auch des göttlichen Wirkens in der Welt deuten (L’APPARITION; IL MIRACOLO), während konkrete religiös-rituelle Praktiken von Gläubigen, die am äußeren Rand kirchlich geordneter Liturgie siedeln, in dokufiktionalen Formaten gezeigt werden (ANATOMIA DEL MIRACOLO). Schließlich wirkt das Priesteramt als Hoffnungsort (CORPUS CHRISTI) und das Papstamt, die exemplarische katholische Existenz per se, als Inspirator dokumentarischer Produktionen (VERTEIDIGER DES GLAUBENS) und fiktionaler Erzählungen (THE YOUNG POPE).
Die Tagung wird aktuellste Film- und Serienproduktionen in den Blick nehmen und Erscheinungsweisen des Religiösen sowie die theologische Qualität der einzelnen Gedankenexperimente, Ästhetiken, Reaktualisierungen oder historischen Einzelmodelle mit einer breiteren Wirkungsabsicht analysieren.